Peter Rösel – Noise Margin
01. Februar - 09. März 2013
Aus den Scans analoger Aufnahmen stempelt man den Schmutz weg, um klare, saubere Bilder zu erhalten. Dreck macht man weg. Staub saugt man auf. Fussel zupft man vom Tisch, Haare klopft man von der Kleidung, Schuppen von den Schultern. Es gibt aber Schmutz, den man nicht weg bekommt. Die Figur mit dem Namen Hitler ist Dreck, den man vergeblich aus der Geschichte zu entfernen versuchte. Hitler, die überdimensionale Fussel, die jedes Bild von der Historie Deutschlands im 20. Jahrhundert (und darüber hinaus) beschmutzt. Von Hitlers Schreibtisch aus dem Obersalzberg, der heute in der Kunstverwaltung des Bundes, in Berlin steht, nahm der Künstler Peter Rösel einigen Staub, der sich in seinen Schubladen angesammelt hatte, mit nach Hause, scannte die Flusen und nahm die digitalen Aufnahmen als Vorlagen für seine Plastiken, die ab dem 1. Februar 2013 in der Galerie Loock ausgestellt werden. Es sind seltsam verdrehte, schwarze Windungen, die auf Sockeln liegen, an den Wänden hängen, sich auf dem Boden krümmen. Unmotivierte Torsionen, groteske Verschlingungen. Sie kleben wie ortlos gewordene Residuen an der weißen Wand, hartnäckig sich festklammernd und unbeirrt ihren Anspruch auf Sichtbarkeit behauptend. Ihre Herkunft sieht man ihnen so wenig an wie den Transformationsprozess, dem sie ihre Existenz verdanken. Doch wer weiß, dass ihre analogen Urformen, bevor sie digitalisiert und wieder als physische Formen in die dreidimensionale Welt zurückübersetzt wurden, Fussel waren, die in Hitlers Tisch sich angesammelt hatten, mag anfangen, sich in ihrer Nähe unbehaglich zu fühlen. Es ist, als trügen sie das Gift ihrer Herkunft noch mit sich. Hitler, die Fussel, hat es verstanden, alles, von dem man glaubt, dass es jemals mit ihm in Kontakt gestanden hätte, mit dem Keim des unabwaschbar Schmutzigen zu infizieren. Und es ist dann gleichgültig, welcher Dreck aus seinen Schreibtisch, von ihm persönlich hinterlassen wurde; der Verdacht, die Vorstellung allein genügt. Sein Name und die damit verbundenen Untaten kleben wie eine Art toxischer Feinstaub in allen Ritzen und Fugen der (deutschen) Geschichte. Das Rätselhafte an Rösels Plastiken geht mit ihrer Behauptung von Präsenz im Raum eine Verbindung ein, die mit der beharrlichen Gegenwart dessen, was man zu vergessen wünscht, in Relation steht. Verdreht und verwunden erscheinen sie wie Widergänger des geschichtlichen verdrängten Unbewussten, das noch in seiner unscheinbarsten Form die Gegenwart infiziert.
Die Staub-Plastiken Peter Rösels öffnen sich aber auch, wie so oft in seinem Werk, einer Lesart, die mit Humor zu tun hat. Wer in Fotografien der Galerieräume die seltsamen schwarzen Linien als Fehler und Schmutz missverstünde und sie im Bildbearbeitungsprogramm entfernte, erhielte ein sauberes, klares Bild der Räume. Nur die Kunst wäre dann weg.
Dr. Leonhard Emmerling, München